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Newsletter Sommer 2023

Samstag, 22.07.2023

Das seit 1. Jänner 2022 geltende Sterbeverfügungsgesetz ist wahrscheinlich verfassungswidrig.

Mit 1. Jänner 2022 ist in Österreich das sogenannte Sterbeverfügungsgesetz-StVfG in Kraft getreten.

Auslösendes Moment für die Gesetzesinitiative war das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes-VfGH vom 11. Dezember 2020, G 139/2019-71. Mit diesem Erkenntnis ist in § 78 Strafgesetzbuch-StGB (Mitwirkung am Selbstmord) die Wortfolge "… oder ihm dazu Hilfe leistet …" als verfassungswidrig aufgehoben worden. Nachdem damit die Beihilfe beim Selbstmord nicht mehr strafbar gewesen wäre, hatte der Bundesgesetzgeber Handlungsbedarf.

Nun steht das StVfG seit eineinhalb Jahren in Kraft, doch die Kritik an diesem Gesetz, das das selbstbestimmte Sterben in besonderen Fällen ermöglichen sollte, wird ständig lauter.

Namentlich die Österreichische Gesellschaft für ein Humanes Lebensende (ÖGHL) ist mit den bestehenden Regelungen der Sterbehilfe in Österreich weiter unzufrieden und wendet sich daher abermals an den VfGH. Dies wurde vom Verein ÖGHL in Tageszeitungen und im Ö1 Morgenjournal angekündigt.

Hier auszugsweise die wichtigsten Parameter des geltenden Gesetzes (die zitierten Paragraphen sind solche des StVfG):

Eine Sterbeverfügung kann nur höchstpersönlich errichtet werden (§ 4).

In einer Sterbeverfügung ist der Entschluss der sterbewilligen Person festzuhalten, ihr Leben selbst zu beenden. Sie hat auch die ausdrückliche Erklärung zu enthalten, dass dieser Entschluss frei und selbstbestimmt nach ausführlicher Aufklärung gefasst wurde (§ 5 Abs 1).

§ 6

(1) Die sterbewillige Person muss sowohl im Zeitpunkt der Aufklärung (§ 7) als auch im Zeitpunkt der Errichtung der Sterbeverfügung (§ 8) volljährig und entscheidungsfähig sein. Die Entscheidungsfähigkeit muss zweifelsfrei gegeben sein.

(2) Der Entschluss der sterbewilligen Person, ihr Leben zu beenden, muss frei und selbstbestimmt, insbesondere frei von Irrtum, List, Täuschung, physischem oder psychischem Zwang und Beeinflussung durch Dritte gefasst werden.

(3) Eine Sterbeverfügung kann nur eine Person errichten, die

  1. an einer unheilbaren, zum Tod führenden Krankheit (§ 120 Z 1 ASVG) oder
  2. an einer schweren, dauerhaften Krankheit (§ 120 Z 1 ASVG) mit anhaltenden Symptomen leidet, deren Folgen die betroffene Person in ihrer gesamten Lebensführung dauerhaft beeinträchtigen; wobei die Krankheit einen für die betroffene Person nicht anders abwendbaren Leidenszustand mit sich bringt.

§ 7

(1) Der Errichtung einer Sterbeverfügung hat eine Aufklärung durch zwei ärztliche Personen voranzugehen, von denen eine eine palliativmedizinische Qualifikation aufzuweisen hat, und die unabhängig voneinander bestätigen, dass die sterbewillige Person entscheidungsfähig ist und einen im Sinne des § 6 Abs. 2 freien und selbstbestimmten Entschluss geäußert hat.

§ 8

(1) Eine Sterbeverfügung kann wirksam frühestens zwölf Wochen nach der ersten ärztlichen Aufklärung (§ 7) errichtet werden. Hat eine ärztliche Person bestätigt, dass die sterbewillige Person an einer unheilbaren, zum Tod führenden Erkrankung leidet und in die terminale Phase (§ 3 Z 8) eingetreten ist, so ist eine Errichtung nach zwei Wochen zulässig. Wird eine Sterbeverfügung nicht innerhalb eines Jahres nach der zweiten ärztlichen Aufklärung errichtet, so muss die sterbewillige Person eine neuerliche Bestätigung einer ärztlichen Person nach § 7 Abs. 1 dritter Halbsatz beibringen, die ein Jahr gültig ist.

Gegen obige Regelungen wurde aus der Praxis vorgebracht, dass sie einerseits zu kompliziert und zu schwer verständlich seien, andererseits damit auch unüberwindbare Hürden für Sterbewillige aufgestellt würden. Das Gesetz sei nicht geeignet, den Zugang zur Sterbehilfe und damit zum Menschenrecht, über Art und Zeitpunkt des eigenen Lebensendes selbst bestimmen zu können, zu gewährleisten. Kritisiert wird, dass es oftmals schwierig ist, eine(n) Palliativmediziner(in) zu finden, der/die bereit ist, die Aufklärung vorzunehmen. Kritisiert wurde auch, dass die sehr lange zwölfwöchige Wartefrist zwischen Aufklärung und Errichtung der Sterbeverfügung dazu führen kann, dass eine unheilbar kranke Person wegen des Krankheitsfortschritts inzwischen die Entscheidungsfähigkeit verliert, womit die Sterbeverfügung gar nicht mehr errichtet werden kann/darf.

Ganz besonders und nach unserer Ansicht zu Recht kritisiert werden die Regelungen des § 12 StVfG:

Werbeverbot und Verbot wirtschaftlicher Vorteile

§ 12

(1) Es ist verboten, mit der Hilfeleistung zu werben. Das Werbeverbot umfasst Werbung, die eigene oder fremde Hilfeleistung oder Mittel, Gegenstände oder Verfahren, die zur Selbsttötung geeignet sind, unter Hinweis auf diese Eignung anbietet, ankündigt oder anpreist.

(2) Es ist zulässig, eine sterbewillige Person auf die Möglichkeit der Errichtung einer Sterbeverfügung nach diesem Bundesgesetz hinzuweisen. Jedenfalls zulässig ist der Hinweis

  1. von ärztlichen Personen und der Österreichischen Ärztekammer darauf, dass sie eine Aufklärung nach § 7 anbieten bzw. wo eine Aufklärung angeboten wird;

  2. von dokumentierenden Personen, der Österreichischen Notariatskammer und den Patientenvertretungen darauf, dass sie eine Dokumentation von Sterbeverfügungen vornehmen bzw. wo eine Sterbeverfügung errichtet werden kann, oder

  3. von Apotheken und der Österreichischen Apothekerkammer darauf, dass sie ein Präparat unter den Bedingungen des § 11 abgeben bzw. welche Apotheken das Präparat abgeben.

(3) Es ist verboten, sterbewilligen Personen eine Hilfeleistung anzubieten oder diese durchzuführen, wenn man sich oder einem Dritten dafür wirtschaftliche Vorteile versprechen lässt oder annimmt, die über den Ersatz des nachgewiesenen Aufwands hinausgehen.

Das Werbeverbot des Absatzes (1) hat zur Folge, dass zum Beispiel Vereine wie die ÖGHL keine beratende Hilfestellung für Sterbewillige anbieten dürfen, nicht über alle gesetzlichen Möglichkeiten informieren dürfen und schon gar nicht Sterbewillige persönlich betreuen und begleiten dürfen.

Das Verbot der aktiven Hilfestellung wiederum verhindert, dass unheilbar kranke Personen, die das Präparat mit tödlicher Dosis NatriumPentobarbital oder ein anderes gesetzlich vorgesehenes Mittel aus der Apotheke, das in entsprechender Dosis das Leben beendet, nicht mehr selbst ohne fremde Hilfe einnehmen können, weil sie dazu körperlich nicht mehr in der Lage sind, trotz gültiger Sterbeverfügung und allen weiteren Voraussetzungen die Selbsttötung dennoch nicht mehr vornehmen können. Die Frage der aktiven Sterbehilfe wurde nämlich im ersten Verfahren vor dem VfGH aus formalen Gründen, weil damals nicht verfahrensrelevant, nicht geprüft und ist daher nach geltender Gesetzeslage weiterhin verboten.

Es bleibt daher abzuwarten, ob der VfGH im neuerlichen Rechtsgang dem Beschwerdevorbringen derjenigen Personen Rechnung tragen wird, die beim Versuch, eine eigene Sterbeverfügung nach StVfG umzusetzen, gescheitert sind. Bis zur verfassungsgerichtlichen Klärung der von den Beschwerdeführern an den Gerichtshof herangetragenen Fragen und bis zu einer daraus allenfalls resultierenden Novellierung des StVfG empfehlen wir unheilbar kranken Personen, nur in äußerst prekären Fällen den mühsamen und womöglich nicht zielführenden Weg nach geltender Rechtslage zu gehen. Die Beschreitung dieses langwierigen Weges verursacht zweifellos zusätzliche Belastungen, sowohl finanzieller als auch psychischer Natur. Und womöglich muß man kurz vor dem Ende dieses mühsamen Weges feststellen, dass der Zweck dennoch nicht erreicht werden kann.

Allen Personen, die sich grundsätzlich mit dem Thema eines weitgehend selbstbestimmten, schmerz- und angstbefreiten, würdevollen Ende des eigenen Lebens befassen empfehlen wir, unsere Beratung im Rahmen der Vorsorgevollmachten in Anspruch zu nehmen. Wir bieten ein Modell der Vorsorgevollmacht mit einer beachtlichen Patientenverfügung an, die wahrscheinlich in vielen Fällen noch vor einer Sterbeverfügung einen ähnlichen Zweck erfüllt.

Dr. Gernot Fellner – Linz, im Juli 2023